An der Grenze der Psyche: die Notfallseelsorge

Sie gehen hin, wenn eigentlich jeder weg will: das Team der Ulmer Notfallseelsorge. Ehrenamtlich sind sie für Menschen da, wenn diese seelischen Beistand brauchen – zum Beispiel, wenn eine nahestehende Person bei einem Autounfall ums Leben kam oder sich das Leben nahm. Fotos: Amrei Oellermann.


Vielen Dank an die Volksbank Ulm Biberach eG  für das Sponsoring der Interviewreihe. 


Wann kommt ihr zum Einsatz?

Wir werden nach Ereignissen alarmiert, die für Menschen eine übermäßige psychische Belastung darstellen. Dies sind häufig häusliche Todesfälle nach Reanimationen, bei Suiziden und Suizidversuchen oder der Überbringung einer Todesnachricht an Angehörige mit der Polizei. Öffentlich treten wir in Erscheinung bei schweren Verkehrsunfällen, Bränden oder Großschadenslagen. Unser Ziel ist es, die Menschen in den ersten Stunden zu unterstützen, sie nicht allein zu lassen, miteinander reden oder schweigen, zu versuchen, das soziale Netzwerk zu aktivieren und eventuell auch bei ersten organisatorischen Dingen zu helfen.

Die ersten Stunden nach einem belastenden Ereignis sind wichtige Eckpfeiler auf dem Weg zu einer guten Verarbeitung des Erlebten und hinein in die Trauer. Ein anderer Bereich unserer Arbeit ist die Einsatzkräftenachsorge. Die Einsatzkräfte leisten einen wichtigen Dienst, sei es ehrenamtlich oder hauptberuflich. Hier stehen wir auf Wunsch jederzeit mit speziell ausgebildeten Kollegen für Nachbesprechungen zur Verfügung.

Wer ruft euch? Wer kann euch rufen?

Die Alarmierung an sich erfolgt immer über die Rettungs- und Feuerwehrleitstelle Ulm. Der diensthabende Notfallseelsorger erhält dann einen Alarm auf seinen Melder mit ersten Informationen zum Einsatz. Die Anforderung an sich findet über die Einsatzkräfte vor Ort statt. Sei es ein Einsatzleiter der Feuerwehr nach einem schweren Verkehrsunfall oder Brand, sei es der Rettungsdienst bei einem häuslichen Ereignis oder die Polizei zur Überbringung einer Todesnachricht. Bei manchen Einsatzstichworten werden wir auch automatisch alarmiert.

Wie hält man als Privatmensch diese Krisen aus? Wie geht man damit um?

Unsere Einsätze sind immer anders – keiner gleicht dem anderen. Der Grund hierfür ist, dass wir Menschen alle anders auf persönliche Krisen reagieren. Meistens begleiten wir die Betroffenen in den schwersten Stunden ihres Lebens. So etwas haben sie vorher nicht erlebt und werden es in der Regel auch danach nicht mehr erleben. Wichtig ist die eigene Situation anzunehmen, was sicherlich sehr schwer fallen kann. Die Frage nach dem Warum? Die Frage nach der Schuld? Hier gibt es meist keine Antwort. Das andere ist, darüber zu reden. Durch das gesprochene Wort, wird es zur Realität und nur die Realität kann verarbeitet werden. Ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist die Psychoedukation. Dies bedeutet, wir erklären den Menschen, welche Reaktionen ihr Körper in den nächsten Tagen und Wochen zeigen kann und klären auf, dass dies völlig normal ist. Die Situation ist nicht okay! Die Reaktionen schon!

Gibt es auch Fälle, die einfach zu hart sind? Fälle, bei denen ihr selber an eure Grenzen kommt?

Die Erfahrung zeigt, dass umso mehr Parallelen ein Einsatz zu unserem eigenen Leben hat, dieser auch umso mehr “an die Nieren” geht. Ganz besonders ist es natürlich immer, wenn Kinder mit im Spiel sind. Dies hat für alle Einsatzkräfte nochmals eine ganz besondere Schwere. Ähnlich gilt das auch für Einsätze mit krimineller Motivation, Gewalttaten jeglicher Art und Suizide.

Wie verändert einen die Mitarbeiter in der Notfallseelsorge als Mensch selber?

Wir sind im Moment 34 Kolleginnen und Kollegen, von denen jeder eine andere Motivation hat diesen Dienst zu tun. Von daher können wir hier nicht pauschal für alle sprechen. Auf jeden Fall haben wir sicher eine andere Beziehung zum Sterben und zum Tod als manch anderer. Dieser ist oft ein Tabuthema. Sterben und Tod gehören nun einmal zu jedem Leben. Deshalb ist es gut, sich damit auch immer wieder zu beschäftigen. Nicht erst, wenn das Unglück über einen hereinbricht. Wenn wir kommen, ist plötzlich alles anders. Wir haben es in der Regel mit völlig unerwarteten Todesfällen zu tun. Am Morgen hat man sich noch verabschiedet, ohne zu wissen das man sich nie wieder sieht – vielmehr steht ein paar Stunden später die Polizei mit der Notfallseelsorge an der Haustür. Diese Szene kennen wir leider gut und sind uns meist bewusst, dass nun für die Betroffenen nichts mehr selbstverständlich ist.

Wie seid ihr organisiert? Ehrenamtlich?

Die Notfallseelsorge Ulm/Alb-Donau-Kreis ist eine reine ehrenamtliche Organisation. Alle unsere Notfallseelsorger/innen leisten ihre Bereitschaft unentgeltlich. Die Finanzierung erfolgt größtenteils über Spenden und über unsere Träger. Diese sind die katholische & evangelische Kirche, die Stadt Ulm und der Alb-Donau-Kreis. Wir sind als Fachberater Notfallseelsorge in die Feuerwehr Ulm als eigene Einheit integriert.

 

Wie wird man eigentlich Notfallseelsorger?

Jeder der Interesse hat, dieses besondere Ehrenamt zu leisten, kann sich bei uns melden: http://www.notfallseelsorge-ulm.de/mitarbeit

Die Ausbildung zum Notfallseelsorger erstreckt sich über ein Jahr und umfasst insgesamt 100 Unterrichtseinheiten, die an Wochenenden und Abenden verteilt über das Jahr stattfinden. Da wir sehr eng mit den Blaulichtorganisationen der Region zusammenarbeiten, gehören zur Ausbildung auch Praktika bei der Feuerwehr, dem Rettungsdienst und der Polizei. Und ein ebenso wichtiger Punkt sind die Hospitationen. Hier gehen die angehenden Notfallseelsorger zusammen mit erfahrenen Kollegen in die Einsätze.

Ist die Notfallseelsorge in Ulm etwas “Besonderes”? Gibt es diese auch in anderen Regionen?

Mittlerweile gibt es deutschlandweit flächendeckend PSNV-Systeme. PSNV bedeutet psychosoziale Notfallversorgung. Dazu gehören auch wir – dies steht auch auf unserer Einsatzjacke. Diese sind in jedem Landkreis jedoch anders aufgebaut. Das besondere bei der Notfallseelsorge Ulm/Alb-Donau-Kreis ist, dass wir mit den beiden Kirchen, dem Stadtkreis Ulm und dem Alb-Donau-Kreis 4 Träger haben. Bei manchen ist rein die Kirche der Träger, bei manchen ist diese an den Rettungsdienst angegliedert. Je nachdem haben diese Einheiten dann verschiedene Namen. So gibt es neben der Notfallseelsorge, Kriseninterventionsteams oder Kriseninterventionsdienste. Wir haben im Alb-Donau-Kreis z.B. den Notfallnachsorgedienst des DRK, mit dem wir eng kooperieren.