Kritische Fragen an “fridays for future”

Seit Januar 2019 ist  die Ortsgruppe von “Friday for future” in Ulm aktiv.   Nach fast 365 Tagen “im Amt” haben wir uns erlaubt, den jungen Menschen in paar sehr kritische Fragen zu stellen. Herausgekommen sind die wohl längsten Antworten in der Geschichte des Ulmer Spickzettels. 

Was sagt ihr den Leuten die der Meinung sind, dass ihr lieber freitags in die Schule gehen sollt?
Der Vorwurf des Schulschwänzens ist inzwischen kaum noch zu hören. Das liegt einfach daran, dass der Vorwurf, gerade hier in Ulm, vollkommen unbegründet ist.

Zum einen, weil es eben ein Streik ist: die Lufthansa Piloten streiken schließlich auch nicht nach Feierabend. Da die meisten von uns Minderjährig sind und somit weder Wählen können noch großen Einfluss auf Konsumentscheidungen ihrer Eltern haben gibt es nicht viele Optionen, sich Gehör zu verschaffen. Würdet ihr über uns berichten, wenn wir nur eine von vielen Umweltbewegungen wären, die an einem Samstag in der Fußgängerzone stehen?

Wahrscheinlich nicht, daher ist der Schulstreik die einzige Möglichkeit die nötige öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen die das Thema erfordert.

Zum anderen, da wir in Ulm bisher fünf Mal gestreikt haben. Die ersten drei Mal um 12 Uhr, im Abstand von jeweils zwei Monaten. Heißt man hat maximal zwei Stunden Schule pro Streik verpasst, bei unserem Intervall also im Schnitt eine Stunde im Monat. Aufgrund eines politisch erzeugten Lehrermangels und schlechter Bildungspolitik fallen meist jede Woche mehrere Stunden Unterricht so aus, Entrüstung über diese eine Stunde im Monat ist also einfach überzogen. Die letzten beiden Streiks waren um 16 Uhr, dafür ist also niemand der Schule ferngeblieben.

Ist es modern und hipp für den Klimaschutz zu sein? Wärt ihr auch dafür, wenn alle dagegen wären?
Es ist nicht hipp, sondern immer mehr Leute erkennen, dass Klimaschutz ein sehr wichtiges Thema ist. Modern ist das Thema leider auch überhaupt nicht. Gerade erst wurden Dokumente gefunden, die belegen, dass der wissenschaftliche Berater des ehemaligen US Präsidenten Jimmy Carter (Amtszeit 1977-1981) während dessen Amtszeit vor den Folgen steigender CO2 Emissionen warnte. Wissenschaftliche Studien im Auftrag des Ölkonzerns Exxon Mobile sagten schon 1982 sehr präzise die globale Erwärmung und den atmosphärischen CO2 Gehalt für 2019 vorher und prognostizieren weiter das Abschmelzen des Polareises.

Und klar, wir wären auch für mehr Klimaschutz wenn alle dagegen wären. Die Faktenlage ist doch eindeutig. Wir sind die letzte Generation, die es noch verhindern kann, dass diese Welt sich in einen Roland Emmerich Film verwandelt.

Was muss sich ändern, damit ihr zufrieden seid?
Wir brauchen eine Lösung, die global funktioniert und eine dauerhafte Bewohnbarkeit des Planeten Erde, wie er die letzten Jahrtausende war, ermöglicht. Dazu gibt es ja eigentlich das Pariser Klimaabkommen.

Die deutsche Politik muss dazu einen Kurswechsel machen um das Pariser Klimaabkommen einzuhalten. Aktuell schafft es Deutschland nicht einmal die viel zu niedrigen, eigenen Klimaziele für z.B. 2020 zu erreichen. Diese werden frühestens 2025 erreicht. Das sog. Klimapaket gleicht eher einer Aufkündigung des Pariser Klimaabkommens als einem ambitionierten Klimaschutzgesetz.

Aber auch die Gesellschaft ist gefragt: wir müssen begreifen wie katastrophal die Folgen des Klimawandels sein werden, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. 

Das Problembewusstsein ist der erste Schritt damit politische Kurswechsel auch gesellschaftlich tragbar sein können. Wir steuern gerade auf ein 4 Grad Erwärmungsszenario für das Jahr 2100 zu. Ziel des Pariser Klimaabkommens sind deutlich unter 2 Grad, idealerweise 1.5 Grad. Gerade stehen wir global schon bei etwas über 1°C. Zum Vergleich: der Temperaturunterschied zwischen der letzten richtigen Eiszeit und der vorindustriellen Temperatur liegt auch nur bei 4 Grad.

Und auch die Ulmer Regionalpolitik muss da eben im Rahmen ihrer Möglichkeiten mitwirken. (Klar, die großen Entscheidungen werden in Berlin und Brüssel getroffen, aber das ist kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen.)

Welcher Strom hier produziert wird, wie viele Parkplätze für Autos auf der Straße zur Verfügung stehen, ob in der Region zu viel Fleisch verzehrt wird, welche Werte den Menschen in Ulm wichtig sind, das sind keine Entscheidungen, die in Berlin und Brüssel getroffen werden, sondern hier vor Ort.

Hat die ältere Generation Schuld?
Die Schuld-Frage lässt sich nicht so pauschal nach Generation beantworten und wenn wir jetzt zuhause unseren Eltern und Großeltern sagen würden: “Ihr seid Schuld!”, dann bringt das niemandem etwas. Wir haben um Verständnis gekämpft, dass unser Anliegen wichtig ist und jetzt unterstützen Sie uns dabei, sind teilweise auch selbst mit uns auf der Straße.

Aktiv Schuld haben für uns eher ein paar wenige Individuen, z.B. Manager von exxon mobile, RWE oder Politiker, die nicht auf die warnenden Worte der Wissenschaftler gehört haben. Wenn man sich ansieht, wie viel Geld Ölkonzerne wie exxon mobile in den letzten Jahrzehnten für Desinformationskampagnen und Lobbyarbeit ausgegeben haben, nachdem Sie durch eigens beauftragte Studien aus den 70ern und 80ern wussten, was ihr Geschäftsmodell anrichten würde, dann wurde die Zerstörung der Erde zumindest wissentlich in Kauf genommen, nur für den kurzfristigen Profit.

Die ältere Generation hatte lange Zeit keine Chance sich gegen diese “Werbung” zu wehren, deshalb sollte man ihnen auch nicht kollektiv die Schuld geben.

Es ist vielleicht unsere Generation, die mit dem Internet aufgewachsen ist, der jetzt die Informationen und Kommunikationsmittel zur Verfügung stehen um diese Lügen der fossilen Industrie einfacher zu entlarven. 

Seitens der Politik kann man der fehlenden Transparenz eine wichtige Mitschuld geben, egal ob Abgeordnete nicht genau angeben müssen, wie viel sie ‘nebenher’ verdienen oder Ministerien von Steuergeld bezahlte Studien nicht direkt veröffentlichen müssen. 

Das Wichtige ist, jetzt gesellschaftlich nach vorne zu sehen: am Ende von 2019 kann niemand mehr sagen,er würde nicht über die drohenden Folgen des menschengemachten Klimawandels bescheid wissen.

Wenn man selbst nicht in der Verantwortung steht ist es ziemlich einfach, mit dem Finger auf andere zu zeigen – man muss ja dann selbst nichts beweisen. Was meint ihr dazu? 

Wenn dieses Jahr etwas gezeigt hat, dann, dass man sich Verantwortung nehmen kann: Es gibt sowohl für Ulm, Baden-Württemberg als auch für Deutschland Forderungskataloge an die jeweiligen Regierungen, abgestimmt mit Natur- und Wirtschaftswissenschaftlern. Mit der SWU hatten wir konstruktive Gespräche, zum Jahreswechsel wird die Grundversorgung in Ulm auf Ökostrom umgestellt und die Stadt Ulm stellt jetzt endlich einen Klimaschutzmanager ein.

Wir sind besser informiert als einige Landtagsabgeordnete, die wir mit Fachwörtern und Fakten teilweise verschrecken.

Viele von uns sind in einem Alter in dem sie noch nicht einmal wählen dürfen, geschweige denn für ein politisches Amt kandidieren und wir haben trotzdem etwas erreicht.
Mit 15 hat man, wie oben bereits erwähnt,nun mal kein Wahlrecht und auch keinen Einfluss auf die meisten relevanten Konsumentscheidungen, daher gibt es in den meisten Fällen keine großen Umstellungen die wir individuell treffen können. Ein großteil des Orgateams und sehr viele Demoteilnehmer ernähren sich allerdings vegan oder vegetarisch, besitzen kein Auto, fahren viel Rad und achten sehr auf ihren Plastikkonsum. An diesen Stellschrauben kann jeder problemlos sofort und ohne Aufwand etwas tun. Wir haben das bereits getan, jede andere darf gerne mitmachen.

Wer glaubt, dass wir nur mit dem Finger auf Andere zeigen, der hat übersehen, dass wir durch die Größe der FridaysForFuture Bewegung auch inzwischen ernst genommen werden und entsprechend auch durch Gespräche mit (Spitzen-)Politikern Möglichkeiten erhalten haben, den Weg aus der Klimakrise zu skizzieren.

Seid ihr bereit für den Klimaschutz auf Auto und Smartphone zu verzichten?
Erstmal ein wichtiger Grundsatz: individueller Verzicht alleine wird die Klimakrise nicht lösen. Das schafft nur politische Steuerung und ein gesellschaftliches Handlungsbewusstsein. Zum Smartphoneverzicht: nein, das brauchen wir um euch zu antworten und uns zu vernetzen, anders wäre eine Bewegung wie FridaysforFuture auch nicht möglich. So eine Frage ist in einer Zeit, in der der Zugang zu Internet in einigen Ländern bereits ein Grundrecht ist auch völlig deplaziert. Der individuelle Zugang zum Internet ist ein enorm wichtiger Faktor für soziale Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit, von sozialer Teilhabe ganz zu schweigen. Sich das Handy herauszupicken nur weil es symbolisch eher mit der jüngeren Generation verknüpft wird ist heutzutage auch schlicht nicht mehr aktuell.

Trotzdem sollte jeder darauf achten sein Handy mindestens 3-4 Jahre benutzen und sich vielleicht auch alternativen wie das Fairphone mal anschauen.

Und verzichten aufs Auto? sofort! Viele von uns fahren Fahrrad so oft es geht, oder sie nehmen den ÖPNV. Aber das Thema ist gesellschaftlich mit sozialer Gerechtigkeit und den hohen Mietpreisen verbunden, da das Auto ja beim Pendeln besonders wichtig ist. Wenn es zum Luxus wird, so nah an der Arbeit zu wohnen, dass man mit dem Rad hinfahren würde, stimmt etwas nicht.

Wenn man weit entfernt auf einem Dorf wohnt und das Fahrrad täglich zu weit ist und es auch keinen ÖPNV gibt, kann man natürlich aktuell nicht auf das Auto verzichten, so gerne man das vielleicht auch möchte. Solche Leute haben wir auch bei uns im Team. Dass es aber nicht einfach so weiter geht mit der Menge an Autos, sieht man doch jeden Abend in Ulm, wenn wieder Alles steht. Besonders zum Nachteil des ÖPNV, der durch Staus seine Fahrpläne nicht einhalten kann. Wer nicht auf das Auto verzichten will oder kann sollte als Übergangslösung zumindest versuchen, Mitfahrer zu finden. Das spart Emissionen und reduziert die Staus. Dass im Bundesdurchschnitt im Berufsverkehr nur 1.2-1.5 Personen in einem Auto sitzen, ist schlicht unnötig.

Der CO2-Ausstoß des Internets ist heute schon doppelt so hoch wie der weltweite Flugverkehr. Aber von einer Besteuerung des Internets redet niemand. Wie passt das zusammen?
Die Nutzer zahlen Mehrwertsteuer auf ihre Internetverträge und unterschiedliche Steuern auf den Strom, die Provider und Rechenzentrumsbetreiber zahlen ebenso Steuern auf den verbrauchten Strom. Für internationale Flüge gibt es aber z.B. keine Kerosinsteuer und keine Mehrwertsteuer. Ist das gerecht?

Das Internet hat zudem einen großen Vorteil: es läuft mit Strom. Ein CO2 neutrales Internet ist also dann vorhanden, wenn die weltweite Stromproduktion CO2 neutral ist. Fliegen hat das Problem, nicht so leicht CO2 neutral werden zu können. Batterien wiegen für Langstreckenflüge zu viel, synthetische, CO2 neutrale Kraftstoffe sind teuer und die aktuellen Technologien für deren Herstellung können den Bedarf für das Fliegen einfach nicht decken.

Dazu kommt der Nutzen für die Menschheit: mehr als 50% der Weltbevölkerung nutzt das Internet als Informations- und Kommunikationsmedium regelmäßig, Tendenz steigend. Gleichzeitig sind 2017 nur geschätzt 3% der Weltbevölkerung geflogen, 80-90% der Weltbevölkerung seien vermutlich noch nie geflogen, heißt es in Schätzungen. Fliegen ist also ein unbesteuerter Luxus bei dem Wenige einen besonders großen Schaden anrichten.

Wo wären die Grenzen des Klimaschutzes erreicht?
Wenn etwas mit unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar wäre.

Forderungen, die die Demokratie beim Klimaschutz an ihren Grenzen sehen und daran etwas ändern wollen verurteilen wir und distanzieren uns klar.

Was sagen eure Lehrer dazu, dass ihr freitags nicht in die Schule geht? Was ist die persönliche Meinung der Lehrer?
Bei unseren 5 Streiks von denen nur 3 die Schulzeit betroffen haben, ist die Frage nicht so problematisch, wir waren ja schließlich freitags fast immer da! Viele Lehrer stehen auch hinter uns, haben Verständnis und haben die Notwendigkeit unseres Handelns erkannt. Natürlich muss ggf. der Stoff nachgeholt werden, genau wie wenn man krank gewesen wäre.

Aber sind wir mal ehrlich: Alles Andere wäre ja auch seltsam. Wenn die Personen, die uns bestmöglich auf unsere Zukunft vorbereiten sollen, kein Interesse daran hätten, dass wir noch eine Zukunft haben, hätten sich unsere Lehrer wohl den falschen Job ausgesucht.

Was sind eure Pläne in Ulm für die Zukunft?
Wir wollen mit Streiks weiter auf die Klimakrise aufmerksam machen aber auch Lösungsansätze aufzeigen und gemeinsam Ideen entwickeln, wie wir aus der Klimakrise herauskommen können. Dies ist zwar nicht die Aufgabe minderjähriger Schüler sondern gewählter und gut bezahlter Politik, aber wie das bisher gelaufen ist haben wir ja gesehen. Daher versuchen wir in der engen Kooperation mit Wissenschaftlern aller Bereiche eigene, ambitionierte und nichtsdestotrotz realistische Ziele und Ansätze zu entwerfen. Deutschland ist da übrigens kein Vorreiter sondern eher abgeschlagen auf den letzten Plätzen im EU Vergleich.

Besonders nötig hat es das Ulmer Verkehrskonzept. Wir reden hier über Klimaschutz und gleichzeitig wird ein neues Parkhaus mit weiteren 700 Parkplätzen in der Innenstadt fertiggestellt, in einer Stadt, deren Verkehrsstruktur schon jetzt mit den Automassen nicht mehr zurecht kommt und in der mit der Gänstorbrücke und der Adenauerbrücke zwei von drei Brücken über die Donau jederzeit wegen Baufälligkeit gesperrt werden könnten. Dass die Finanzierung der Brücken ein Problem werden könnte, könnte man als die späte Rache der externen Kosten der Automobilität bezeichnen.

In Paris wird gerade die Fahrradinfrastruktur massiv ausgebaut mit dem Ergebnis, dass innerhalb eines Jahres die Anzahl der gezählten Radfahrer um 50% zugenommen hat. Und der Verkehrssektor ist in Deutschland eines der größten Probleme, weil er bisher keine CO2 Einsparungen erreicht hat.

In Kurz: Der ÖPNV und der Radverkehr müssen deutlich attraktiver gemacht werden.

Wenn ihr mit der Schule fertig sein, was sind eure persönlichen Pläne?
Je nach Schulabschluss und Interessen: erstmal eine Ausbildung oder ein Studium. Natürlich kommen für uns nur zukunftsfähige Arbeitgeber in Frage, also lohnt es sich auch in diesem Aspekt für Unternehmen, sich endlich anzupassen. Aber wir werden auf jeden Fall weiter gegen die Klimakrise und für unsere Zukunft eintreten.

Wer seid ihr eigentlich und was macht ihr im echten Leben?
Wir sind hauptsächlich Schülerinnen und Schüler aber ein paar Studierende und junge ArbeitnehmerInnen sind auch dabei. Wenn man die Scientists4Future (Wissenschaftler) und die Parents4Future (Eltern) dazu zählt, sind wir ein bunter Querschnitt durch die Gesellschaft.