
Seelische Erkrankungen sind auf dem Vormarsch – Depressionen, Angststörungen und andere psychische Leiden betreffen immer mehr Menschen. Doch während ein gebrochener Arm selbstverständlich behandelt wird, schämen sich viele, wenn die Psyche leidet. Dabei sind psychische Krankheiten genauso real und behandelbar. Professor Carlos Schönfeldt-Lecuona von der CuraMed Tagesklinik Neu-Ulm erklärt, warum wir offener mit dem Thema umgehen müssen und wie wir die eigene psychische Gesundheit stärken können.

Prof. Dr. med. Carlos Schönfeldt-Lecuona ist Chefarzt der CuraMed Tagesklinik Neu-Ulm sowie Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. Als Experte auf seinem Gebiet verbindet er medizinische Fachkompetenz mit einem ganzheitlichen Ansatz zur Behandlung psychischer Erkrankungen.
Herr Professor Carlos Schönfeldt-Lecuona, warum fühlen sich heute so viele Menschen überfordert?
Wir leben in einer Zeit voller Herausforderungen. Globale Krisen, Digitalisierung und sozialer Druck belasten uns. Aber diese Belastungen machen uns nicht nur schwächer – sie zeigen uns auch, wo wir ansetzen können, um psychisch gesünder zu leben.
Was macht uns anfälliger?
Es ist vor allem der Dauerstress: hohe Arbeitsbelastung, ständige Erreichbarkeit, sozialer Vergleich in den digitalen Medien. Gleichzeitig fehlen oft die alten Stützen wie Familie oder Freundschaften, die früher Sicherheit gegeben haben. Aber die gute Nachricht ist: Wir können lernen, uns selbst besser zu schützen.
Spielt die Digitalisierung eine Schlüsselrolle?
Ja, die digitale Welt hat viele Vorteile, aber sie überfordert uns auch schnell. Wenn wir uns nur noch mit anderen vergleichen oder von Algorithmen manipuliert werden, leidet die Psyche. Doch das lässt sich ändern: Ein bewusster Umgang mit digitalen Medien kann helfen, die Balance zu halten.
Welche Krankheiten nehmen besonders zu?
Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen sind auf dem Vormarsch. Aber hier liegt auch ein Fortschritt: Heute sprechen wir offener über diese Themen. Immer mehr Menschen suchen Hilfe – das zeigt, dass psychische Krankheiten weniger tabuisiert werden. Das ist der richtige Weg, denn Depressionen sind genauso echte Krankheiten wie ein Knochenbruch. Die brauchen genauso eine professionelle Behandlung.
Wie können wir psychische Krankheiten enttabuisieren?
Der wichtigste Schritt ist Akzeptanz. Psychische Krankheiten sind keine Schwäche, sondern medizinische Diagnosen. Eine Depression kann man genauso wenig schönreden wie einen gebrochenen Arm. Es ist entscheidend, dass wir das in der Gesellschaft anerkennen und Menschen nicht dafür verurteilen, wenn sie Hilfe brauchen.
Was kann jeder Einzelne tun, um psychisch gesund zu bleiben?
Die Basics sind wichtig: ausreichend Schlaf, regelmäßige körperliche Aktivitäten, ausgewogene Ernährung und gute Stressbewältigungsstrategien. Echte Gespräche mit Freunden oder der Familie können helfen, Stress abzubauen. Niemand muss alles allein schaffen – Hilfe zu suchen, ist keine Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke.
Welche Rolle spielt die Politik dabei?
Es braucht mehr Aufklärung in Schulen und allgemein in der Gesellschaft, bessere Therapieangebote und Präventionsprogramme. Psychische Krankheiten müssen genauso ernst genommen werden wie körperliche. Wenn das gelingt, machen wir einen großen Schritt nach vorn.
Ihr Fazit, Herr Professor Schönfeldt-Lecuona?
Die Psyche ist mindestens genauso wichtig wie der Körper. Depressionen, Ängste oder andere psychische Krankheiten sind reale, behandelbare Leiden. Wenn wir das akzeptieren, können wir nicht nur den Betroffenen helfen, sondern auch als Gesellschaft resilienter werden.
Das Interview führte Mathias Eigl.