Vier Millionen Schnecken und 24 Stunden S€x.
Es klingt wie ein Witz, ist aber eine Erfolgsgeschichte: Vor über 200 Jahren war Ulm der heimliche Nabel der Schneckenwelt. Während die meisten Menschen heute ihre Begegnung mit Schnecken auf ungewollte Gartenbesuche beschränken, waren die schleimigen Kriecher einst ein Exportschlager. Genauer gesagt: 4 Millionen Weinbergschnecken pro Jahr machten sich von Ulm aus auf den Weg nach Wien – stilecht in Fässern, die jeweils 10.000 dieser charmanten Kriecher fassten.
Von Ulm nach Wien: Schnecken, die die Welt erobern
Der Weg begann oft im “Schneckengässle”, einem unscheinbaren Pfad, der einst zu den Schneckengärten der Stadt führte. Hier wurden die Weinbergschnecken gemästet, gewogen und reisefertig gemacht. Ihr Ziel: die Gaumen der Wiener Feinschmecker. Denn im katholischen Europa waren Schnecken nicht einfach nur Essen, sie waren die legitime Fastenspeise für alle, die Fleisch den Rücken kehren mussten, aber trotzdem nicht auf ein bisschen Luxus verzichten wollten.
„Damals wurden bis zu 4 Millionen Schnecken jährlich exportiert – eine Fastenspeise mit Luxusfaktor, die es bis in die Adelskreise schaffte.“
Diese schleimigen Delikatessen wurden also nicht nur gesammelt, sondern professionell gemästet. Ganze “Schneckengärten” standen bereit, um die Tiere mit kalkhaltigen Köstlichkeiten zu füttern – für das perfekte, nussige Aroma. Es war der Beginn eines internationalen Handels, bei dem Ulm als Zentrum des Schleim-Exports glänzte. Und ja, bevor jemand fragt: Man aß sie wirklich, und sie schmeckten ziemlich gut (zumindest laut den Wienern).
Liebe auf den ersten Schleim: Der Paarungstanz der Schnecken
Doch wie kommt man eigentlich zu 4 Millionen Schnecken pro Jahr? Die Antwort: mit Geduld. Viel Geduld. Schnecken mögen in ihrem Alltag nicht gerade für Tempo bekannt sein, doch wenn es ums Liebesspiel geht, machen sie ernst – und lassen sich ordentlich Zeit.
„Ihr Liebesspiel dauert einen ganzen Tag – 24 Stunden voller Schleim-Romantik und kalkhaltiger Liebespfeile.“
Weinbergschnecken sind nämlich Perfektionisten in Sachen Fortpflanzung. Ihr Liebesspiel dauert nicht Minuten, nicht Stunden, sondern gerne mal einen ganzen Tag. 24 Stunden Schleim-Romantik, in denen sich die Kriecher gegenseitig mit kalkhaltigen Liebespfeilen beschießen, um die Hormone in Wallung zu bringen. Das klingt nicht nur skurril, sondern ist es auch: Schließlich sind Schnecken Zwitter und müssen sich erst einmal darauf einigen, wer in diesem Tanz Mann und wer Frau ist. Demokratie in Reinform, mitten im Schneckentempo.
Und dann? Dann wird losgelegt. Bis zu 60 Eier legen die frisch verliebten Schnecken in die Erde. Was dabei schlüpft, ist so klein und zart, dass man durch das Gehäuse hindurch das Herz der Minis schlagen sehen kann. Von dort beginnt der langsame, aber stetige Weg zur ausgewachsenen Schnecke, die vielleicht eines Tages wieder in einem Fass Richtung Wien reisen darf.
Was wir von Schnecken lernen können
Die Geschichte der Schnecken in Ulm ist nicht nur ein Beispiel dafür, dass auch kleine Dinge Großes bewegen können. Sie zeigt uns auch, dass man im Leben manchmal langsamer machen sollte. Während die Welt rennt, schleimen sich Schnecken durch ihren Alltag – und kommen trotzdem immer ans Ziel. Vielleicht nicht blitzschnell, aber mit Stil und einer gewissen Ruhe, die uns allen manchmal guttun würde.
„Die Schnecke zeigt uns: Manchmal kommt man mit Langsamkeit weiter – und zwar auf der eigenen Schleimspur.“
Also: Beim nächsten Spaziergang durchs Schneckengässle oder beim zufälligen Blick auf eine Weinbergschnecke im Garten denken Sie daran, dass diese Kriecher einst Ulms Exportweltmeister waren. Und, dass sie für den schönsten Tango der Welt mindestens einen Tag brauchen.