Ulm – große Liebe auf den zweiten Blick.
Omer Sehic wusste nicht, wohin er gehörte: als Sohn bosnischer Einwanderer, der in Ulm geboren wurde, trug er eine Identitätskrise mit sich herum. Ist er Ulmer? Bosnier? Oder beides? Bis er Ulm verließ und in Homburg Medizin studierte. „Dort habe ich so sehr von Ulm geschwärmt, dass meine Kommilitonen irgendwann gesagt haben: Dann geh doch zurück, wenn dein Ulm so toll ist.“ Und das hat er dann auch gemacht. Hier schloss er sein Studium ab, wurde Arzt und gründete das Albrecht-Berblinger-Förderwerk, das Schülern durch Stipendien und Mentoring Perspektiven eröffnet. Und als wäre das nicht schon genug, engagiert er sich im Vorstand des Arbeiter-Samariter-Bunds. Ach ja … und im Ulmer Gemeinderat ist er als sachkundiges Mitglied im Internationalen Ausschuss auch vertreten. Was soll aus diesem jungen Mann noch alles werden, wenn er bereits mit 27 so viel bewegt hat?
Das Interview führte Mathias Eigl, Gründer des Ulmer Spickzettels und der ersten Social-Media-Agentur im Schwabenland Ulm Me (www.ulm.me) und langjähriger Chefredakteur verschiedener Schülerzeitungen.
Mathias Eigl: Omer, danke, dass du dir die Zeit nimmst. Ich habe gehört, du hast ja einen echt bewegten Lebensweg, und das mit nur 27 Jahren. Hol doch mal ganz weit aus und erzähl uns, wie du bis hierher gekommen bist.
Omer Sehic: Ja, klar. Also, ich bin 1997 hier in Ulm geboren, meine Eltern sind damals während des Jugoslawienkriegs aus Bosnien nach Ulm gekommen, wo mein Opa bereits als Gastarbeiter gearbeitet hat. Meine Eltern kannten sich lustigerweise vorher nicht und haben sich erst in Ulm kennengelernt, obwohl sie aus der gleichen Kleinstadt in Bosnien stammen. Schon eine verrückte Geschichte! Hier haben sie geheiratet, und dann kam ich zur Welt.
Mathias Eigl: Wahnsinn, das klingt nach einer starken Familiengeschichte. Und wie ging es dann für dich weiter?
Omer Sehic: Ja, also ich bin in Ulm aufgewachsen, war auf der Albrecht-Berblinger-Grundschule und habe später am Hans und Sophie Scholl-Gymnasium mein Abitur gemacht. Anschließend wollte ich Medizin studieren und habe leider keinen Platz in Ulm zugeteilt bekommen. Ich war erst in Homburg im Saarland, habe dort mein erstes Staatsexamen gemacht und bin dann aber wieder zurück nach Ulm gekommen. Die Stadt ist einfach meine Heimat, ich wollte unbedingt wieder hier sein. Ich habe dann mein Studium hier abgeschlossen und arbeite seit einem Jahr als Arzt in der Inneren Medizin im Krankenhaus in Blaubeuren.
„Die Stadt ist einfach meine Heimat, ich wollte unbedingt wieder hier sein.“
Mathias Eigl: Das klingt nach einer erfolgreichen Reise. Aber du bist ja nicht nur Arzt, oder?
Omer Sehic: Ja, das stimmt. Neben meinem Beruf engagiere ich mich auch ehrenamtlich, was schon früh angefangen hat. Während der Schulzeit war ich bei der Schülerzeitung, war Handballtrainer bei der TSG Söflingen und habe in der Jugendarbeit unserer Moschee mitgeholfen. Das hat mir stets sehr viel Spaß gemacht und hat sich dann immer weiterentwickelt, und heute bin ich weiterhin in verschiedenen Funktionen gesellschaftlich aktiv.
Mathias Eigl: Zum Beispiel beim Arbeiter-Samariter-Bund (ASB), richtig? Wie bist du da hingekommen?
Omer Sehic: Genau. Das lief über die Schulsanitäter-Ausbildung, die über den ASB organisiert wurde. Ich bin dann in die Abteilung Ehrenamt reingerutscht, die die Sanitätsdienste bei Veranstaltungen wie dem Donaufest oder im Donaustadion betreut. Auch während des Studiums habe ich das weitergemacht. Nach meinem Abschluss wurde ich dann vom Vorstand angesprochen, ob ich im Vorstand mitarbeiten möchte. Das war für mich eine große Ehre und so habe ich relativ schnell zugesagt und wurde dann auch von den Mitgliedern in den Vorstand gewählt.
„Ich wollte immer etwas zurückgeben – Ehrenamt hat für mich schon früh eine wichtige Rolle gespielt.“
Mathias Eigl: Was sind deine Ziele beim ASB?
Omer Sehic: Ich bin noch relativ neu im Vorstand, also nehme ich mir aktuell die Zeit, einen guten Überblick darüber zu gewinnen, wie alles läuft. Der ASB Ulm ist eine sehr große Organisation mit mehreren hundert ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitenden in vielen verschiedenen Bereichen: Vom Rettungsdienst und Katastrophenschutz, der Altenpflege, sozialen Diensten in der Behinderten- und Kinder-/Jugendhilfe bis hin zur Quartierssozialarbeit und noch weiteren Angeboten sind wir für die Menschen in der Region da. Das bietet ein enormes Potenzial für neue Entwicklungen, die ich zusammen mit den anderen Vorstandsmitgliedern fördern möchte, um den regionalen gesellschaftlichen Bedürfnissen gerecht zu werden und den ASB noch präsenter zu machen.
Mathias Eigl: Neben dem ASB bist du auch beim Albrecht-Berblinger-Förderwerk aktiv. Das ist ja ein weiteres starkes Ehrenamt, das du machst. Was genau ist das Förderwerk und was machst du dort?
Omer Sehic: Ja, das Förderwerk ist ein gemeinnütziger Verein, den ich mitgegründet habe. Wir unterstützen Schülerinnen und Schüler mit einem Stipendium, das ihnen helfen soll, bisher unbekannte Erfahrungen zu machen, neue Perspektiven zu gewinnen und sich persönlich weiterzuentwickeln. Ein wichtiger Teil davon ist unser Mentoring-Programm. Wir haben 22 Mentoren, die den Schülerinnen und Schülern zur Seite stehen und ihnen helfen, ihre Stärken zu erkennen und ihre gesellschaftliche Teilhabe zu fördern.
„Wir haben 22 Mentoren, die den Schülerinnen und Schülern zur Seite stehen und ihnen helfen, ihre Stärken zu erkennen und ihre Selbstwirksamkeit in der Gesellschaft zu fördern.“
Mathias Eigl: Wie kam es, dass du dieses Projekt mitgegründet hast?
Omer Sehic: Die Idee kam mir während meines Studiums. Ich selbst hatte ein Stipendium beim Avicenna-Studienwerk, und das hat mir so viel gegeben, dass ich dachte: Warum nicht etwas Ähnliches in Ulm aufbauen? Besonders der ideelle Teil des Stipendiums, mit Workshops und gesellschaftlichem Austausch, hat mich geprägt. Ich wollte, dass auch Jugendliche in Ulm solche Möglichkeiten bekommen. Im Rahmen meiner Tätigkeit als sachkundiges Mitglied im Internationalen Ausschuss des Gemeinderats habe ich dann die Gründung eines Vereins initiiert, der so eine Förderung auch in Ulm ermöglichen sollte. Mittlerweile sind wir ein Team aus vielen tollen Ehrenamtlichen, die das Förderwerk mit Leben füllen, wofür ich sehr dankbar bin.
„Die ideelle Förderung während meines Studiums hat mich so geprägt, dass ich Jugendlichen in Ulm diese Chance auch geben wollte.“
Mathias Eigl: Eine beeindruckende Initiative! Was wäre dein Tipp für junge Menschen in Ulm?
Omer Sehic: Sucht euch ein Ehrenamt! Es gibt euch so viel zurück – nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für euch selbst. Man kann sich ausprobieren, lernt neue Leute kennen und entwickelt sich persönlich weiter. Gerade in einer Zeit, in der viele junge Menschen nicht genau wissen, wohin sie wollen, ist das eine großartige Möglichkeit. Schaut zum Beispiel auf der Homepage von engagiert-in-ulm vorbei und informiert euch über die vielen Engagementmöglichkeiten in unserer Stadt.
„Sucht euch ein Ehrenamt! Es gibt euch so viel zurück – nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für euch selbst.“
Mathias Eigl: Omer, du scheinst wirklich verwurzelt in Ulm zu sein. Was macht die Stadt für dich so besonders?
Omer Sehic: Ulm ist mehr als nur der Ort, an dem ich geboren bin. Es ist das Herzstück meiner Identität. Egal, wo ich hingehe, Ulm bleibt immer in meinem Herzen. Hier zu leben, bedeutet für mich, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die familiär und offen zugleich ist. Ich liebe es, dass man hier die Menschen kennt, sich auf der Straße grüßt und gleichzeitig das Gefühl hat, die Stadt bietet einem alle Möglichkeiten, die man sich wünschen kann. Es ist, als hätte Ulm die perfekte Größe – groß genug, um lebendig zu sein, aber klein genug, um sich heimisch zu fühlen. Das habe ich besonders gespürt, als ich weg war. In Homburg habe ich schnell gemerkt, dass ich nirgendwo so zu Hause bin wie in Ulm. Die Geschichte der Stadt, die Menschen, die Vielfalt – es fühlt sich einfach richtig an, hier zu sein. Ulm ist meine Heimat, und das werde ich glaub immer spüren, egal wo ich bin.
„Ulm ist mehr als nur der Ort, an dem ich geboren bin. Es ist das Herzstück meiner Identität.“
Mathias Eigl: Das kann ich total verstehen. Ulm hat wirklich etwas Besonderes. Man spürt hier eine starke Gemeinschaft. Danke, Omer, für das tolle Gespräch!
Omer Sehic: Danke dir!