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„Prostitution ist nicht Pretty Woman – sondern knallhartes Business.“

Tanja und Maren von ela-Beratung für Menschen in der Sexarbeit- kennen die Schattenseiten der Branche – und die komplexen Regeln, mit denen Sexarbeiterinnen kämpfen müssen.

Es gibt leichtere Wege, Geld zu verdienen. Aber für viele Sexarbeiterinnen ist das hier keine Frage von „Bock drauf“ oder „Berufung“. Es ist Business – eines mit verdammt vielen Hürden. Tanja und Maren von ela-Beratung für Menschen in Prostitution sind diejenigen, die den Frauen helfen, sich im sozialen Hilfesystem und Behördendschungel zurechtzufinden.

„Viele kommen aus Osteuropa. Sie haben keine Krankenversicherung, keine Ahnung, wo sie hinmüssen, und stehen dann in Deutschland vor einem Berg von Anforderungen.

Sexarbeit ist in Deutschland legal – aber nur, wenn du einen bürokratischen Hindernislauf meisterst.

„Die Frauen müssen erst zum Gesundheitsamt für eine Beratung, dann zum Ordnungsamt für die Anmeldung. Danach bekommen sie ihren Schein. Was viele nicht wissen: ihre Daten gehen direkt ans Finanzamt.”

Zwischen Armut, Rotation und der Frage: Freiwillig oder nicht?

Das Bild, das viele im Kopf haben, wenn sie an Prostitution denken, ist entweder Pretty Woman oder eine dunkle Seitengasse. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen.

„Die meisten Frauen sind auf Durchreise. Sie bleiben zwei Wochen, dann ziehen sie weiter in eine andere Stadt. Warum? Weil die Betreiber Abwechslung im Bordell wollen. Und weil die Freier  das auch wollen.“

Und die große Frage: Macht das hier jemand gerne?

„Es gibt Frauen, die sagen: ‚Ich arbeite zwei Jahre, dann habe ich mein Haus abbezahlt.‘ Und es gibt Frauen, die sagen: ‚Ich habe keine Wahl.‘ Was wir hier sehen, ist in den allermeisten Fällen kein Menschenhandel. Der Zwang ist subtiler. Er heißt Armut. Er heißt: ‚Ich habe drei Kinder und keine Alternative.‘“

Tanja und Maren erleben das täglich. „Was viele nicht verstehen: Sexarbeit ist in vielen Fällen einfach Arbeitsmigration. Diese Frauen arbeiten, um ihre Familien zu ernähren. Sie schicken Geld nach Hause, weil es dort keine Perspektive gibt. Das kann man als Zwang sehen. Oder als knallharte wirtschaftliche Entscheidung.“

Und dann gibt es noch eine andere Realität: „Es gibt Frauen, die diesen Job bewusst wählen, weil er flexibler ist als jeder andere. Sie arbeiten, wann sie wollen, sie verdienen in kurzer Zeit viel Geld. Das ist ein Aspekt, über den selten gesprochen wird, weil er nicht ins Klischee passt.“

„Verbieten? Dann wird’s nur gefährlicher.“

Verbotsdebatten gibt es immer wieder – vor allem das sogenannte „Sexkaufverbot“, das Kunden kriminalisieren würde. Tanja und Maren halten das für naiv.

„Wenn du Prostitution verbietest, verschwindet sie nicht. Sie wird unsichtbar. Illegal. Und dann wird’s richtig gefährlich.“

In Schweden gibt es das Modell bereits: Dort ist Prostitution offiziell nicht verboten, aber der Freier wird bestraft. Die Folge? Sexarbeiterinnen sind gezwungen, im Verborgenen zu arbeiten. Sie können keine Räume mehr mieten, keine Verträge abschließen, keine Sicherheit einfordern.

„Dann kann der Freier plötzlich sagen: ‚Ich hab dich bezahlt, also mach, was ich will – sonst verrate ich dich.‘ Es gibt keinen Schutz mehr. Keine Möglichkeit, einen Lohn einzuklagen. Und vor allem: neue Strukturen von Zuhälterei, weil die Frauen nicht mehr ohne Vermittlung an Kunden kommen.“

„Die Sexarbeit wird digital – und wir auch.“

Corona hat nicht nur die Gastro-Branche aufgerüttelt. Auch die Sexarbeit hat sich verändert. „Früher war unser Job, in Bordelle zu gehen und mit den Frauen zu sprechen. Heute läuft zusätzlich viel über WhatsApp. Die Frauen bewerben sich auf Plattformen mit ihrer Handynummer – und wir schreiben sie direkt an.“

Digitale Beratung hat Vorteile: „Wir können mit den Frauen chatten, bevor sie überhaupt in eine Stadt kommen. Und Messenger-Apps übersetzen automatisch, was uns hilft, Sprachbarrieren zu überwinden.“

Aber der Markt verändert sich nicht nur technisch. „Wir sehen zunehmend Transgender-Personen in der Sexarbeit. Das war vor ein paar Jahren noch nicht so. Was wir fast gar nicht sehen: männliche Sexarbeiter. Der Markt bleibt in Ulm weiblich dominiert.“

„Keiner spricht mit den Frauen – nur über sie.“

Tanja und Maren wissen: Es gibt keine einfache Lösung für die Probleme in der Sexarbeit. Aber eines ist sicher: Die Frauen, über die alle diskutieren, werden selten gefragt.

„Wir sind keine Moralapostel. Wir retten niemanden. Wir beraten. Und vor allem hören wir zu. Das tun die wenigsten. Es wird über sie geredet, aber nicht mit ihnen.“

Wenn die Politik wirklich etwas verbessern will? „Dann sollen sie die Frauen selbst fragen, was sie brauchen. Oder besser noch: sie bei der Gesetzgebung mit einzubeziehen.“

„Die Frauen, die hier arbeiten, haben kein großes Sendungsbewusstsein. Sie kämpfen ums Überleben. Sie brauchen Beratung, nicht Bevormundung.“

Und wenn das nicht passiert? Dann werden Menschen wie Tanja und Maren weiter den Job machen, den andere nicht sehen wollen. Sie werden helfen, wo sie können. Und darauf hoffen, dass sie die Frauen irgendwann unter besseren Bedingungen wiedertreffen.

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