
Vom Backend zur Boxengasse
Wie Marcel Mussotter die Softwarebranche verließ, um ein analoges Erlebnisunternehmen aufzubauen – und was andere Unternehmen von seinem Strategiewechsel lernen können.
Marcel Mussotter war neun Jahre lang Teil eines der innovativsten Digitalunternehmen Süddeutschlands. Bei Mission One entwickelte er datengetriebene E-Mail-Marketinglösungen auf Enterprise-Niveau, verantwortete Finanzen, Beteiligungen und den Aufbau digitaler Produkte für Kunden wie große Versandhändler und regionale Mittelständler. Ein gut laufendes Business. Aber eines Tages stellte er sich eine einfache Frage: Was bleibt eigentlich übrig, wenn alles vorbei ist? Die ernüchternde Antwort: ein USB-Stick mit Code und Konzepten.
Was folgte, war kein Bruch, sondern eine Transformation. Mussotter wechselte von der digitalen Projektwelt ins stationäre Erlebnismodell. Genauer: in die Geschäftsführung des Ecodrom – einer vollelektrischen Indoor-Kartbahn in Neu-Ulm, die heute mehr ist als nur eine Sportstätte. Das Ecodrom ist ein wachstumsorientiertes Freizeitunternehmen, das digitale Prozesse, skalierbare Erlebnisangebote und Kundenbindung systematisch miteinander verzahnt.
Erlebnis als Geschäftsmodell
„Wir verkaufen heute keine Tools oder Features mehr – wir verkaufen gute Zeit“, sagt Mussotter. Eine bewusst gewählte Abkehr vom digitalen Dienstleistungsmodell, bei dem der Vertrieb häufig gegen komplexe Erklärungsbedarfe und langen Sales-Zyklen kämpfen muss.
Im Ecodrom hingegen ist das Produkt intuitiv: Menschen buchen Kartfahrten, Firmen planen Teamevents, Kinder feiern Geburtstage. Das Angebot ist konkret, direkt erlebbar und emotional aufgeladen – aber operativ genauso datengetrieben wie zuvor.
Denn Mussotter hat das Digital-Know-how mitgebracht. Das Buchungssystem funktioniert vollautomatisch, inklusive Echtzeit-Preismodellen nach dem Prinzip von Fluggesellschaften: Wer früh bucht, zahlt weniger. Die Kommunikation läuft über personalisierte Kundenprofile, mit automatisierten Mails, Feedback-Schleifen und Anbindung an Social Ads. Das alles selbst entwickelt, intern betrieben.
Wachstum durch agile Innovation
Was das Ecodrom unterscheidet: Hier wird Freizeit nicht verwaltet, sondern weitergedacht.
Die Kartbahn ist nur das Zentrum. Drum herum entstanden neue Attraktionen: digitale interactive Dart-Systeme, Arcade-Automaten, interaktive Spielflächen und viele andere Unterhaltungsangebote. „Unser Ziel war es, die Aufenthaltsdauer zu verlängern – und damit den durchschnittlichen Umsatz pro Besuch“, sagt Mussotter. Das ist geglückt. Die Kombination aus Mobilitätserlebnis, Gastronomie und Gamification macht das Ecodrom für B2C- und B2B-Kunden gleichermaßen attraktiv. Firmenkunden nutzen es für Vertriebsschulungen, Events oder Hausmessen.
Ein entscheidender Erfolgsfaktor: Testen statt Planen. Neue Features werden als Minimalversion eingeführt. Läuft es, wird iteriert. Läuft es nicht, wird abgeschaltet. „Wir haben die Mentalität eines Startups beibehalten“, sagt Mussotter. „Keine Angst vor dem ersten Wurf – Hauptsache, wir lernen schnell.“
Digitales Marketing, messbar gemacht
Dass das Marketing heute fast ausschließlich digital läuft, ist keine Überraschung. Aber die Konsequenz, mit der das Ecodrom auf Messbarkeit setzt, ist bemerkenswert. „Wir haben alles ausprobiert: Radio, Print, Außenwerbung – aber nichts schlägt Performance Marketing, wenn man es richtig aufsetzt“, sagt Mussotter.
Ein internes Medienteam produziert Social Content, analysiert Reichweiten und optimiert in kurzen Zyklen. Ziel ist nicht nur Sichtbarkeit, sondern Conversion – und die geschieht über vollständig digitale Customer Journeys, vom ersten Touchpoint bis zur Bezahlung.
Herausforderungen eines analogen Unternehmens
Natürlich bringt ein stationäres Modell andere Abhängigkeiten mit sich. Die Pandemie zwang das Ecodrom zu zehn Monaten Stillstand. Mussotter nennt diese Zeit „eine Übung in Resilienz“. Personal musste gehalten, Pläne ständig angepasst, Liquidität gesichert werden – oft ohne belastbare politische Aussagen. „Was geholfen hat: dass wir als Geschäftsführung immer auch Unternehmer waren. Nicht nur Verwalter.“
Weniger lösbar ist ein anderes Problem: die Bürokratie. Ob neue Tür, zusätzliche Attraktion oder kleine bauliche Änderung – Genehmigungsprozesse kosten Zeit, Geld und Nerven. „Jede Regel hat einzeln betrachtet ihre Berechtigung“, sagt Mussotter. „Aber die Summe lähmt.“ Für Investoren ist das oft ein Ausschlusskriterium. Für Mittelständler ein täglicher Kampf.
Was andere Manager daraus mitnehmen können
- Produktdenken: Auch Dienstleistungen können emotional erlebbar gemacht werden – wenn man sie durch die Brille des Endkunden betrachtet.
- Iteratives Arbeiten: Agilität ist kein Buzzword, sondern ein Führungsprinzip. Wer sich nicht bewegt, verliert.
- Datenbasierte Entscheidungen: Nicht jeder Trend ist ein Treffer. Aber jeder Treffer braucht ein gutes Tracking.
- Leadership mit Substanz: Wer Teams durch unsichere Zeiten führen will, braucht mehr als nur Fachwissen – sondern Klarheit, Tempo und Mut.
Und wohin geht die Reise?
Mussotter spricht von neuen Displays auf den Lenkrädern, von Gamification-Elementen, die Kartfahren mit Videospiel-Logik verbinden – live, vor Ort. Das Ziel: neue Zielgruppen, neue Umsatzquellen, längere Verweildauer.
„Freizeit wird nicht verschwinden“, sagt er. „Aber sie wird sich verändern – und wir wollen gestalten, nicht reagieren.“
Was bleibt vom USB-Stick?
Vielleicht nicht viel. Aber dafür gibt es heute einen Ort in Neu-Ulm, an dem Menschen echten Mehrwert erleben, abseits vom Bildschirm. Und das ist in der heutigen Zeit bereits etwas Besonderes.