
Ulm knirscht und ein Zahnarzt hört zu
Dr. Holger Krauch kennt das Geräusch. Zähne, die nachts aufeinanderreiben, bis der Kiefer brennt. Früher ein Randproblem, heute fast Standard. „Das hat brutal zugenommen“, sagt er. Stress, Job, Handy immer griffbereit – irgendwo muss der Druck ja hin. Viele lassen ihn durch den Kiefer ab.
Und Holger? Der sitzt mittendrin, im Ulmer Fischerviertel, in einer Praxis, die aussieht wie ein Boutique-Hotel. Keine sterilen Wartezimmer-Vibes, kein Geruch nach Bohrer und Desinfektion. Sondern alte Balken, krumme Wände, Geschichte. Ein Haus von 1550, das Holger erst dem Denkmalamt abtrotzen musste. „Jeder Balken, jede Leitung – alles musste genehmigt werden.“ Heute ist es sein Reich.
Vom Bau auf den Zahnarztstuhl
Dass Holger Zahnarzt wird, war nicht vorgezeichnet. Er wuchs auf dem Bau auf, arbeitete als Jugendlicher zwischen Betonmischern und Gerüsten. „Handwerk lag mir, aber ich wollte auch etwas, das den Kopf fordert.“ Also Zahnmedizin. Frankfurt, Ulm, Assistenzzeit – und dann, mit 27, die eigene Praxis. Einer der Jüngsten in der Stadt.
Seine erste Praxis: dritter Stock, ohne Aufzug. „Kein Highlight für Kinderwägen und Rollatoren.“ Zehn Jahre hielt er durch, dann zog er ins Fischerviertel. Heute kann man direkt vor die Tür fahren, was viele seiner Patient:innen feiern.
Ulm und die ewige Baustelle
Holger liebt sein Viertel – „ein kleines gallisches Dorf, jeder kennt jeden“. Gleichzeitig ärgert er sich über die Dauer-Baustellen in der Stadt. Viele Patient:innen sagen ihm: „Wären Sie nicht hier, wir würden gar nicht mehr nach Ulm reinfahren.“ Für ihn ein Symptom: Ulm wächst, aber der Nerv der Leute wächst nicht mit.
Das Knirschen einer ganzen Gesellschaft
Eigentlich könnte Holger Geschichten erzählen über Implantate, Zahnersatz und Lachgas. Doch das Thema, das ihn am meisten beschäftigt, sind die Patient:innen, die nachts die Zähne zusammenbeißen. Oder tagsüber, beim Scrollen durch Mails, beim nächsten Call, beim ständigen „nur noch schnell“.
„Früher war das Büro weg, heute liegt es neben dem Nachttisch“, sagt er. Und in seiner Praxis zeigt sich das täglich: verspannte Kiefer, abgeriebene Zähne, Schmerzen, die bis in die Schläfen ziehen. Zähneknirschen als stilles Symptom unserer Zeit.
Ein Mann ohne Plan B
Holger selbst hatte nie Zweifel. „Zahnarzt war mein Plan A – und es gab keinen Plan B.“ Vielleicht ist es genau das, was ihn ausmacht: die Klarheit, Dinge durchzuziehen. Vom Bau gelernt, von der Zahnmedizin perfektioniert.
Und wenn man ihm zuhört, klingt das fast tröstlich: Ja, das Leben drückt. Aber manchmal reicht es, den Mund aufzumachen – und einer wie Holger Krauch hört zu.
Herr Zahnarzt Krauch hat die Pulsgeber unserer Zeit erfasst: Das Knirschen der Gesellschaft ist ansteckend! Während andere Baustellen planen, knirscht man hier im Kopf – digital und analog. Vielleicht liegt das Geheimnis vor seiner Tür, im Fischerviertel. Wer weiß, ob das Knirschen nicht auch den Weg zu ihm führt? Sein Plan A hat sich bewährt, und das ist ja mal was. Für alle Zähneknirker: Ein Besuch bei Holger ist ja wohl der nächste Schritt nach dem Abendessen. Vielleicht sollte man auch mal bauen, statt nur zu knirschen? 😉đếm ngược thời gian