
Goodbye Stuttgart, Hello Heimstraße: Das etwas andere Ulmer Start-Up.
Wenn man in Ulm „Start-up“ sagt, denkt man meist zuerst an Apps, Hightech oder Biotech. Aber dass eines der erfolgreichsten und spannendsten Projekte der letzten Jahre mitten in der Heimstraße entsteht – und dabei ganz ohne Hightech-Gadgets, dafür mit jeder Menge Herz – das hätte wohl kaum jemand erwartet. Schon gar nicht Annkathrin und Laurens Rinke selbst, als sie 2021 Stuttgart verließen, um mit ihren drei Kindern zufällig gegenüber der Schwiegermutter in Ulm einzuziehen.
Ein glücklicher Zufall und ein Haus zu einem Preis, von dem sie in Stuttgart nicht einmal zu träumen wagten. Dass sie damit auch die Ulmer Hebammenlandschaft revolutionieren würden, ahnten sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Eine Hebamme, ein Designer und eine zündende Idee
Annkathrin Rinke arbeitete bereits einige Jahre als Hebamme in Stuttgart. Nach ihrer Elternzeit wollte sie auch in Ulm wieder in den Beruf einsteigen – doch das stellte sich schwieriger heraus als gedacht. Während es in Stuttgart schon etablierte Teams und Geburtshäuser gab, war die Szene in Ulm noch eine absolute Einzelkämpfer-Veranstaltung. „Mit drei kleinen Kindern zu Hause als Solo-Hebamme Hausgeburten anbieten? Unmöglich“, sagt Annkathrin.
Genau an diesem Punkt stieg Laurens, ihr Mann, mit ein. Eigentlich Designer für interaktive Museumsinstallationen, entschied er sich kurzerhand, Elternzeit zu nehmen. So konnte Annkathrin in Ruhe testen, ob Ulm überhaupt bereit war für ein Geburtshaus. Die Nachfrage überraschte selbst die Rinkes: Ulmer Familien warteten offensichtlich nur darauf, dass jemand das Thema endlich anpackt.
Vulvarium: Hausgeburt statt kalter Klinik
Heute ist das „Vulvarium“ (benannt nach der anatomischen Bezeichnung des weiblichen Genitals, um Offenheit und Selbstbestimmung zu symbolisieren) längst kein Geheimtipp mehr. Es ist ein Geburtshaus, das nicht an medizinische Einrichtungen erinnert, sondern an ein gemütliches Wohnzimmer – mit Kerzenlicht, warmen Farben und entspannter Atmosphäre.
„Wir haben selbst zwei unserer Kinder zu Hause bekommen und dabei erfahren, wie positiv es ist, in einem vertrauten Umfeld geboren zu werden“, sagt Annkathrin. Genau diesen entspannten, vertrauten Rahmen wollten sie auch anderen Eltern ermöglichen.
Trotzdem ist es professionelle medizinische Geburtshilfe nach neuesten Standards – nur eben ohne sterile Krankenhausatmosphäre. Die Schwangeren lernen die Hebammen früh kennen, und das Team ist so eingespielt, dass sich eine echte Vertrauensbasis entwickelt. Annkathrin beschreibt es als „freundschaftlich, persönlich und sehr individuell“.
Der Designer mittendrin: Ein Mann im Hebammen-Business
Die vielleicht größte Besonderheit am Vulvarium aber ist Laurens selbst. Denn hier unterstützt nicht nur eine männliche Fachkraft, sondern jemand, der eigentlich aus einem ganz anderen Bereich kommt. Laurens kümmert sich um Management, Verträge, Marketing und Abläufe – alles, was man heutzutage als „Operations“ bezeichnet.
„Es ist unglaublich erfüllend, direktes Feedback von den Familien zu bekommen“, sagt Laurens. „In meinem vorherigen Job habe ich interaktive Installationen entwickelt. Wenn das Projekt fertig und bezahlt war, herrschte meist Stille. Hier gibt es unmittelbar Dankbarkeit, emotionales Feedback und echte Wertschätzung. Das ist einzigartig.“
Warum der Erfolg fast scheiterte
Dabei wäre das Vulvarium beinahe gar nicht entstanden. Die Suche nach geeigneten Räumlichkeiten war eine echte Herausforderung, erinnert sich Annkathrin. „Viele Vermieter winkten ab, weil sie Vorurteile gegenüber Hebammen und deren Einkommen hatten. Erst die Räume in der Heimstraße, die wir schließlich mieten konnten, waren dann genau das Richtige – es hat sich irgendwie nach Schicksal angefühlt.“
Mittlerweile expandieren sie langsam: Ein zusätzliches Wochenbettzimmer entsteht, und das Team umfasst inzwischen vier Hebammen. Monatlich begleitet das Vulvarium 15 bis 20 Geburten. Dabei haben sie klare medizinische Richtlinien: keine Risikoschwangerschaften, keine Zwillinge – dafür intensive persönliche Betreuung und eine vertrauensvolle Atmosphäre.
Zwischen Wachstum und Work-Life-Balance
Die Zukunft des Vulvariums sieht vielversprechend aus: Mehr Personal soll eingestellt werden, und Annkathrin plant, bewusster auf ihre Work-Life-Balance zu achten, um das Wachstum gesund und nachhaltig zu gestalten. „Ruhe ist wichtig, auch wenn ich weiß, dass ich vermutlich nie lange stillsitzen werde“, sagt sie lachend. Denn langweilig darf es auf keinen Fall werden.
Laurens dagegen genießt es, weiterhin aktiv dabei zu sein und die positiven Rückmeldungen der Familien zu erleben. „Ich hätte nie gedacht, dass Geburtshilfe einmal Teil meines beruflichen Lebens werden würde – aber genau das macht es ja spannend.“
Ein echtes Ulmer Original – und ein Glücksfall für die Stadt
Was einst aus einer Notlage auf dem überteuerten Stuttgarter Wohnungsmarkt begann, hat sich zu einer Ulmer Erfolgsgeschichte entwickelt. Das Vulvarium hat nicht nur eine echte Marktlücke gefüllt, sondern beweist, dass erfolgreiche Start-ups nicht immer digital sein müssen – sie können auch ganz menschlich sein.
Mehr Infos:
- Webseite: vulvarium-ulm.de
- Instagram: @vulvarium_ulm
- Kontakt: hello@vulvarium-ulm.de