
Der Plan mit den Containern
In Ulm drängte die Zeit: Neue Kita-Plätze mussten her – schnell, günstig, unkompliziert. Die Lösung, die auf dem Tisch lag, klang pragmatisch, aber wenig charmant: Containerbauten, notfalls aus China importiert. Funktional, aber weit weg von kindgerechter Architektur.
Für Jens Rannow, Architekt mit Büro in Ulm, war das keine Option. „Meine Kinder waren damals selbst im Kita-Alter. Und ich dachte: Das kann nicht die Antwort sein.“ Stattdessen bot er eine Alternative an: Holzbauten, nachhaltig, hochwertig, in derselben Geschwindigkeit errichtet.
Drei Monate Wahnsinn
Die Vorgabe war brutal: drei Monate Bauzeit ab Oberkante Bodenplatte, am Ende eine Kita – schlüsselfertig, eingerichtet, bezugsbereit. Eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Rannow nahm die Herausforderung an. Gemeinsam mit Handwerkern plante er jedes Detail: Wer betritt wann welchen Raum? Welche Gewerke dürfen sich nicht in die Quere kommen? Jeder Schritt war minutiös durchgetaktet.
„Wir haben uns mit den Handwerkern an einen Tisch gesetzt, wie ein Projektteam. Alle wussten, was zu tun ist, alle waren verantwortlich. Das war der Schlüssel“, sagt er.
Das Ergebnis: Bei einer EU-weiten Ausschreibung wurden zehn Standorte ausgelobt. Das Team um Jens Rannow gewann fünf davon – und lieferte. Fünf Kitas in Holzrahmenbauweise, alle innerhalb von drei Monaten fertiggestellt. Bei einem Projekt gab es sogar ein DGNB-Vorzertifikat, das die Nachhaltigkeit dokumentierte – bezahlt aus eigener Tasche.
Sieg gegen die Container
Damit war die Alternative vom Tisch. Keine Blechcontainer aus Fernost, sondern nachhaltige Kitas, die bis heute genutzt werden. „Wir haben bewiesen, dass Tempo und Qualität kein Widerspruch sind“, sagt Rannow. Und man versteht schnell: Für ihn geht es nicht nur um Architektur, sondern um Haltung.
Vom Bauzeichner zum Unternehmer
Sein Weg in die Architektur war nicht vorgezeichnet. Nach einem durchschnittlichen Abi begann er eine Bauzeichner-Ausbildung, studierte anschließend in Regensburg, Augsburg und Biberach. 1997 Diplom, 2000 Master – und 2002 der Schritt in die Selbstständigkeit. „Mit nur drei Jahren Berufserfahrung, das war waghalsig. Aber es hat funktioniert.“
Heute führt Rannow mit Team Rannow Architekten ein Büro mit rund 25 Mitarbeitenden an den Standorten Ulm und Friedrichshafen. Für ihn ist Größe kein Selbstzweck, sondern notwendig, um die wachsende Komplexität der Branche abzubilden. „Nachhaltigkeit, Bauleitung, Kosten, Termine, Entwurf – das kann kein Einzelner mehr leisten. Dafür braucht es ein Team.“
Einzelkämpfer oder Teamplayer?
Tatsächlich sind 80 Prozent der Architekturbüros in Baden-Württemberg winzig: ein bis fünf Personen. Weitere zehn Prozent haben bis zu zehn Mitarbeitende. Nur ein kleiner Rest wächst darüber hinaus. Rannow gehört dazu. Und er glaubt, dass genau das entscheidend ist, um in Zukunft bestehen zu können.
„Viele Büros hoffen, ihr Laden wird irgendwann an Jüngere übergeben. Aber es gibt kaum Leute, die das wollen – und die Kollegen überschätzen den Wert ihrer Büros. Ich habe testweise mal eine Anzeige geschaltet: ‚Architekturbüro zum Übernehmen gesucht‘. Keine einzige Rückmeldung. Null.“ Für ihn ein Beweis, dass Einzelkämpfer-Modelle an ihre Grenzen stoßen.
Nachhaltigkeit als Pflicht
Neben der Frage nach der Organisationsform treibt Rannow vor allem Nachhaltigkeit um. „Architekten können die Welt retten – und wir müssen es auch tun.“ Das klingt pathetisch, ist aber faktisch begründet: Der Bau ist einer der größten CO₂-Treiber überhaupt.
Rannow beschäftigt sich seit Jahren mit Baustoffen und deren Bilanz. „Eine Holzfaser-Weichplatte braucht 30 Jahre, bis sie in CO₂ gemessen den Wärmeeffekt wieder eingespart hat. Eine Zellulose-Dämmung dagegen nur zwei Jahre.“ Solche Zahlen will er in jede Bauentscheidung bringen – auch wenn sie oft gegen kurzfristige Kostenargumente kämpfen müssen.
Vom Container zur Genossenschaft?
Das Kita-Projekt hat in ihm etwas ausgelöst. „Wir überlegen, selbst als Bauherr aufzutreten – vielleicht als Genossenschaft. Dann könnten wir Innovationen umsetzen, die Bauherren oft nicht mittragen, weil sie an Normen und Zulassungen hängen.“
Für Rannow geht es darum, Neues zu wagen. Nicht, um anders zu sein, sondern um zu beweisen, dass es besser geht. Dass ein Gebäude nicht nur heute funktioniert, sondern auch in 30 Jahren noch relevant ist.
Haltung statt Notlösung
Die Geschichte der Kitas ist für ihn kein Heldenepos, sondern ein Beispiel: Haltung schlägt Notlösung. Statt chinesischer Blechcontainer stehen in Ulm heute Kitas, die nachhaltig gebaut sind – und die zeigen, dass mutige Architektur möglich ist, wenn man sie will.
Und Jens Rannow? Vom Bauzeichner über Diplom und Master zum Unternehmer – heute leitet er ein Büro, das weiterdenkt. Architektur nicht nur als Produkt, sondern als Verantwortung.