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„Das würde ich nie so machen“

Jürgen Steinmetz über 45 Jahre Handwerk, die Stadt, die ihre Seele verliert – und eine Generation, die sich die Hände nicht mehr schmutzig machen will. 

Ein Gespräch mit Mathias Eigl

Seit 45 Jahren arbeitet Jürgen Steinmetz im Handwerk. Zwei Meistertitel, acht Mitarbeitende, ein Showroom mitten in Ulm – und die Erkenntnis, dass sich alles verändert hat. Die Innenstadt ist leerer, das Handwerk unterbewertet, und Kunden kaufen heute anders als früher. Im Interview spricht Steinmetz offen über seine Anfänge, warum er seine Tochter versteht, wenn sie seinen Job nicht will – und warum Ulm sich selbst im Weg steht.

Herr Steinmetz, 45 Jahre im Geschäft – was hat sich in dieser Zeit am meisten verändert?

Die Haltung zum Handwerk. Früher war ein Handwerker jemand, der etwas konnte. Heute ist das Image ein ganz anderes. Wir haben das aber auch selbst verbockt. Meine Generation hat den eigenen Beruf abgewertet. Hat den Kindern gesagt: „Mach Abi, studier was, werd was Sauberes.“ Und genau das ist passiert. Heute will kaum noch jemand in den handwerklichen Beruf – obwohl wir so dringend Leute brauchen wie nie. Gleichzeitig hat sich auch das Kundenverhalten komplett verändert. Es kommt niemand mehr zufällig in den Laden. Alles ist planbarer geworden, aber auch unpersönlicher. Früher hat man beim Vorbeigehen noch ein Bad verkauft. Heute brauchst du fünf Termine, um einen Spiegel zu verkaufen.

Was hat Sie damals ins Handwerk gezogen?

Ganz ehrlich? Zufall. Ich wollte Maler werden, das hat aber nicht geklappt. Und plötzlich hatte ich vier Angebote für eine Installateurlehre auf dem Tisch. Da habe ich zugegriffen. In den 80ern war das noch völlig normal. Und als ich dann gemerkt habe, dass ich aus Metall und Blech Dinge bauen kann, die halten, die ein Haus verändern – da kam auch der Stolz. Später habe ich dann zwei Meistertitel gemacht: einmal in Sanitär, einmal als Klempner. Ich wollte das Handwerk nicht nur ausführen, ich wollte gestalten.

Heute machen Sie Komplettbäder. Warum dieser Fokus?

Weil es den Leuten heute nicht mehr reicht, dass einer ein Rohr verlegt oder ein Waschbecken anschließt. Die Menschen wollen eine Lösung. Eine schöne, stimmige Lösung – ohne Chaos, ohne Abstimmungsprobleme mit fünf verschiedenen Gewerken. Deshalb machen wir alles selbst: Fliesenleger, Schreiner, Installateure. Wenn ein Kunde anruft, hat er mit mir genau einen Ansprechpartner. Und ich kümmere mich um alles. Das ist für viele ein Riesen-Vorteil – vor allem für Menschen, die beruflich stark eingebunden sind und keine Zeit haben, sich mit jedem Handwerker einzeln zu koordinieren.

Wie funktioniert das mitten in Ulm – in der Frauenstraße?

Die Frauenstraße war früher eine lebendige Straße. Heute ist sie – ich sag’s mal hart – eine Karikatur von dem, was sie mal war. Viele kleine Geschäfte, die das Flair ausgemacht haben, sind verschwunden. Rosé, Wohnidee, die Reisebüros – alle weg. Stattdessen: Leerstand oder große Ketten. Unser Showroom ist deshalb nicht mehr Verkaufsfläche im klassischen Sinn. Er ist eher Beratungsort. Oder Imagepflege. Das Geschäft läuft anders. Heute über Empfehlungen, Website, manchmal Social Media. Aber nicht mehr über Laufkundschaft.

Hat Ulm da Ihrer Meinung nach etwas verpasst?

Ja, leider. Ich habe oft das Gefühl, dass Ulm zu sehr auf Verwaltung und zu wenig auf Atmosphäre setzt. Es fehlt ein echtes Konzept, wie man die kleinen, kreativen Unternehmen sichtbar macht. Wenn ein Tourist durch Ulm läuft und nur noch die Läden sieht, die er auch aus Stuttgart oder München kennt – was bleibt dann? Ohne den Münsterplatz und das Fischerviertel wäre hier nicht mehr viel. Die Stadt hat nicht verstanden, dass der Einzelhandel und das Handwerk das Rückgrat der Innenstadt sind. Wenn die wegfallen, stirbt auch das Leben auf der Straße. Und das merken wir schon jetzt.

Sie haben eine Tochter. Sie ist nicht ins Handwerk gegangen – warum?

Sie hat’s gesehen. Sie hat mich arbeiten sehen. Immer. Mehr als 40 Stunden. Immer unterwegs. Immer beschäftigt. Mit 14 hat sie gesagt: „Vater, so dumm wie du muss man erst mal sein.“ Das war kein Vorwurf, das war ihre Beobachtung. Und sie hatte recht. Sie hat studiert, macht etwas ganz anderes. Und ich kann es ihr nicht verdenken. Aber es zeigt auch, wie sehr die nächste Generation durch unser Verhalten geprägt wurde. Wenn wir nie da sind, wenn wir immer schuften – dann sagen die Kinder eben: Das will ich nicht. Und dann wundern wir uns, dass keiner mehr ins Handwerk geht.

Sie sprechen sehr offen über Fehler im System. Wie könnte es besser laufen?

Indem wir wieder anfangen, das Handwerk als das zu sehen, was es ist: wertvoll, kreativ, notwendig. Und indem wir den jungen Leuten nicht immer nur sagen, dass sie studieren sollen. Ich sehe viele junge Leute, die motiviert sind, die was machen wollen – aber der Fokus stimmt oft nicht. Handwerk ist nicht dreckig oder zweitklassig. Es ist echte Arbeit. Und es wird in Zukunft wichtiger denn je. Ich sage immer: In zehn Jahren zahlen wir einem Handwerker 80 Euro pro Stunde und einem ITler 20. Weil wir zu viele vom einen und zu wenige vom anderen haben.

Haben Sie Angst vor KI?

Nein. Aber ich sehe, dass sich die Welt verändert. Wir testen KI intern – für Angebote, Rechnungen, Textbausteine. Sie ersetzt keine Hände, aber sie spart Zeit. Wer das ignoriert, wird’s schwer haben. Es wird in Zukunft weniger darum gehen, ob du programmieren kannst – sondern ob du mit Veränderungen umgehen kannst. Ich versuche, da Schritt zu halten. Aber klar: Mit 60 ist das anstrengender als mit 30.

Wie sehen Sie die Zukunft des Handwerks in Ulm?

Viele Betriebe werden verschwinden. Nicht, weil sie schlecht arbeiten – sondern weil die Nachfolge fehlt. Und weil zu viele Handwerksmeister alt geworden sind und keine Perspektive haben. Wenn das so weitergeht, gibt es bald nur noch Ein-Mann-Betriebe. Und wer dann ein Bad renovieren will, wartet Monate. Deshalb glaube ich, dass Betriebe wie unserer – die alles aus einer Hand bieten – eine echte Zukunft haben. Wenn wir die richtigen Leute finden. Und wenn die Stadt endlich versteht, dass es ohne uns nicht geht.

Letzte Frage: Würden Sie Ihren Beruf nochmal wählen?

Ja. Auch heute noch. Trotz allem. Ich liebe, was ich tue. Ich liebe es, Dinge zu gestalten, Räume zu verändern, Kunden zu begeistern. Es ist ein Beruf, der echt ist. Und ich hoffe, dass das auch in Zukunft noch jemand macht. Denn ein schönes Bad baut sich nicht mit PowerPoint.

Jürgen Steinmetz ist Handwerker, Unternehmer und Ulmer mit Haltung. Er steht für ein Handwerk, das nicht jammert, sondern handelt. Für eine Stadt, die mehr sein könnte als Verwaltung. Und für eine Gesellschaft, die sich endlich wieder trauen sollte, mit den Händen etwas aufzubauen.

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